Also Folgendes. Ich lese gerade ein Buch – na gut, hab eben erst angefangen –, darin kommt ein Schachspieler vor. Das passiert mir nicht zum ersten Mal in den letzten Jahren, nur um das klarzustellen, aber es passiert doch erstaunlich selten.
Und weißt du was? Es ist mir unangenehm. Ja, es ist mir zutiefst unangenehm, peinlich, irgendwie zu intim. Leider ist das Buch schon gut und außerdem habe ich, wahrscheinlich, das Doppelte dafür gezahlt, weil zwar die erste Zahlung durchging, aber nicht die erste Lieferung (eBook), und dann hab' ich halt einfach noch mal auf 'Kaufen' geklickt. Weil mir das zu doof war. Mein Gott, jetzt einen zweiten Onlineshop suchen, dabei hatte ich mich ja schon abgewandt vom bösen Bezos. Da wäre das nicht passiert, nur mal so – ich sag ja nichts, böser Bezos, aber passiert wäre das da nicht. Und jetzt habe ich 19,99 Euro mal zwei ausgegeben für ein Buch, in dem von einem Schachspieler geschrieben wird und ich fühl mich so, als würde mir jemand ganz vorwurfsvoll meine dreckige Wäsche vor's Gesicht halten. Und dann sagt er: Du stehst ja ganz nackig da.
Jetzt, wo ich so drüber nachdenke, war das wirklich kein gelungener Tag. Erst das mit dem Buch, oder nein, erst wäre ich fast überfahren worden. Ich hasse Rechtsabbieger, die hassen Fahrradfahrer – es beruht auf Gegenseitigkeit, da bin ich mir sicher. Aber knapp war es diesmal doch, und ich hab ganz blöde meine Hand gehoben und mittellaut "Arschloch" gebrüllflüstert. Ich war dann doch zu erschrocken, um so richtig wütend zu werden, wie ich's sonst immer gleich bin.
Heute Abend auf dem Heimweg dann fast schon wieder, aber diesmal kein Rechtsabbieger, sondern ein wildgewordner Mann. Ja, beide Male ein Mann. Zufall? Ich denke nicht.
Also der heute Abend, der ist einfach zu schnell in die Einbahnstraße rein, ungebremst weiter und einmal kurz Hand gehoben, als er an mir vorbeikam, die ich mich zum Glück in eine Parklücke duckte. Aber gar nicht schuldbewusst, die Hand, eher so: kluges Mädchen. Frau. Was weiß ich, was der dachte.
Na ja, ich wollte eigentlich über das Schachspielen schreiben, weil ich glaube ich gar nicht schreiben kann, ohne dass irgendwie Schach darin vorkommt. Und das ist doch seltsam, dass das immer noch so sein sollte, ich hab schließlich schon lange – lange, lange, lange – nichts mehr mit Schach am Hut. Gar nichts. Ich denk da nicht mal dran, außer so ganz verstohlen, nachts um vier. Wenn man so an früher denkt und bisschen traurig wird, dass die Zeit vergangen ist oder so.
Ich hab schon viele Hobbies links liegen lassen. Boxen. Meine Güte, da dachte doch jeder schon: echt jetzt?
Klavier. Das klang schon besser (Witz intendiert).
Tennis. Mach ich noch, aber heute zum Beispiel nicht, weil kein Bock.
Stricken. Na gut, zählt nicht, habe ich nie wirklich gelernt, hab bloß zwölf Nadeln bei Bezos bestellt.
Sport. Der bleibt, aber die Fixiertheit schwankt. Und ja, ich bin ja über Dreißig, also natürlich hab ich's seit Kurzem mit dem Joggen.
Ich glaube, ich vergesse auch einige, aber vielleicht auch nicht, vielleicht würde ich das nur gerne, denn was mir widerfahren ist, ist etwas Grausames, das so gut wie allen Menschen widerfährt und sie niederwirft und ihnen alles nimmt. Es ist die Arbeit. Das liebe Arbeitsleben, und das Wort "Leben" ist darin schon sehr gut aufgehoben. Ich liebe arbeiten einfach. Ich mach es ständig, jeden Tag, auch am Wochenende, und nein, nichts Nützliches - sorry. Die Arbeit dient nur dazu, dass ich mich sonst nicht um mein Leben scheren muss.
Apropos Arbeit, das war heute auch toll, toller Tag, sagte ich das schon?
Um kurz vor 14 Uhr musste ich meine Bürotür verschließen und heulen. Wie ein ganz schwaches Würstchen, dabei wäre ich lieber kein Würstchen. Aber besonders großwurstig und stark bin ich halt leider nicht, das muss ich in solchen Moment einsehen. Ich kann das nicht, wenn man nicht nett zu mir ist.
Und ja, auch wenn's nur über E-Mail ist. Aber es war wirklich unschön, ein unschöner Mailverkehr, mit einem passiv-aggressiven Gegenüber, das mir einfach nicht die LISTE schicken wollte, sondern mich immer wieder darauf hinweis, ich habe die Liste wie alle anderen bereits vor einem Monat erhalten. Aber das hatte ich nicht. Doch, das haben Sie, schrieb er, und ich, die sicher einen riesen Fehler begangen hatte, durchsuchte mein Postfach von vorne nach hinten und hinten nach vorne und starrte minutenlang auf die barschen E-Mails meines Gegnüber – nicht wirklich gegenüber, man stelle sich vor! zum Glück ja doch nur gegen Screen – und klickte hier und klickt da, wie so ein Siebzigjähriger, der von Outlook überfordert ist, um den Dateianhang zu finden, denn dieser Kerl, dieser Mistkerl (ich war auf Hundertachtzig und gleichzeitig klein und erbärmlich wie eine Null) hatte mir doch sicher die LISTE angehängt, nicht wahr, wie das jeder normale Mensch tun würde?
Aber dann sah ich es. Die Mail, die er mir geschickt hatte – denn die hatte er mir zuletzt, natürlich ohne Dateianhang, zum Beweis weitergeleitet – war an die falsche Adresse gegangen, das heißt, an eine alte Adresse, die nicht mehr funktioniert. Zugegeben, das konnte das Gegenüber vermutlich nicht wissen (wiewohl ich mich wunderte, dass andere E-Mails an meine richtige Adresse gingen), aber die Dreistigkeit, die Unbarmherzigkeit - das war, alles in allem, dann doch zu viel für mich.
So verlor ich also eine ganze Stunde. Grund: Gefühle.
Nun aber das ist nicht tragisch, meine ganze Arbeit ist ineffizient und man muss nicht denken, ich würde die Welt bewegen und eine Stunde sei gleichbedeutend mit einem Inhalt. Eine Stunde so mit Gefühlen und sinnlosen E-Mails, oder eine Stunde Kaffee, oder eine Stunde einen Absatz geschrieben (wenn's gut läuft) über irgendein Thema, das niemanden interessiert... nein, ich will nicht so reden, ich will nicht so denken, ich will wertschätzen, womit ich da meine Zeit – und zwar die gesamte Zeit – verbringe.
Jedenfalls ist es deshalb, dass ich mit Schach nichts mehr am Hut habe und auch mit allem anderen und vielleicht ist das gelogen oder vielleicht auch nicht, aber wenn in einem Buch 1. e4 steht, dann wühlt mich das auf, ich mag das nicht, ich will nicht so mit etwas konfrontiert werden, an das ich schon lange – lange, lange, lange – nicht mehr denke. So was von früher.
Letztens war ein Reporter bei uns und hat einen Radiobeitrag aufgenommen. Ich war im Radio! Im Bildungsradio zudem. Das war mir hochgradig peinlich und ich würde mir diesen Beitrag nur gegen eine gewaltig hohe Summe anhören, aber trotzdem gut, nicht wahr, zu sagen: 'ich war im Radio'. Oder klingt es doch eher wie: 'ich war im Internet'?
Jedenfalls sagte der Reporter, der übrigens ganz schön kritisch war, damit hatten wir gar nicht gerechnet, sagte der, dass er mir noch eine Frage stellen wolle. Das war ganz am Ende, als er schon aufgestanden war. Ob ich Schachspielerin sei.
Er habe nämlich gegoogelt - soll heißen: meinen Namen – um den Weg zu finden, und da seien doch plötzlich Beiträge, Fotos, was Google eben so zu Tage befördert, sei alles da vor ihm ausgebreitet gewesen.
Was sollte ich da sagen? Verkrampft lachen und "früher, ist schon Jahre her" sagen.
Den ganzen Schachboom seit Corona, den Aufstieg des Schachs im Internet, das habe ich alles nicht mehr miterlebt, sagte ich entschuldigend. Damengambit. Die ganzen Streams. Nur so am Rande des Bewusstseins sind die an mir vorbeigeschwappt, kaum dass ich davon etwas mitbekam. Ich hatte anderes zu tun.
Er empfahl einen Podcast, den ein Kumpel von ihm produziert habe. Ich hörte abends im Fitnessstudio in eine Folge rein, während ich rückwärts auf dem Laufband lief – denn das macht man ab Anfang/Mitte Dreißig gegen Knieschmerzen. Also das Rückwärtslaufen, nicht den Schachpodcast.
Und ja, der war nett, der Schachpodcast. Scambit hieß der, falls es jemanden interessiert. Ich hab mir kurz vorgestellt, während ich da so lief und lauschte, ich könnte ja wieder anfangen. Jetzt doch noch (wieder?) ein Nerd werden. Warum denn nicht?
Bei einer Folge ist es geblieben. Schach und ich, wir sind Vergangenheit. Lange – lange, lange – her.
Und weißt du was? Es ist mir unangenehm. Ja, es ist mir zutiefst unangenehm, peinlich, irgendwie zu intim. Leider ist das Buch schon gut und außerdem habe ich, wahrscheinlich, das Doppelte dafür gezahlt, weil zwar die erste Zahlung durchging, aber nicht die erste Lieferung (eBook), und dann hab' ich halt einfach noch mal auf 'Kaufen' geklickt. Weil mir das zu doof war. Mein Gott, jetzt einen zweiten Onlineshop suchen, dabei hatte ich mich ja schon abgewandt vom bösen Bezos. Da wäre das nicht passiert, nur mal so – ich sag ja nichts, böser Bezos, aber passiert wäre das da nicht. Und jetzt habe ich 19,99 Euro mal zwei ausgegeben für ein Buch, in dem von einem Schachspieler geschrieben wird und ich fühl mich so, als würde mir jemand ganz vorwurfsvoll meine dreckige Wäsche vor's Gesicht halten. Und dann sagt er: Du stehst ja ganz nackig da.
Jetzt, wo ich so drüber nachdenke, war das wirklich kein gelungener Tag. Erst das mit dem Buch, oder nein, erst wäre ich fast überfahren worden. Ich hasse Rechtsabbieger, die hassen Fahrradfahrer – es beruht auf Gegenseitigkeit, da bin ich mir sicher. Aber knapp war es diesmal doch, und ich hab ganz blöde meine Hand gehoben und mittellaut "Arschloch" gebrüllflüstert. Ich war dann doch zu erschrocken, um so richtig wütend zu werden, wie ich's sonst immer gleich bin.
Heute Abend auf dem Heimweg dann fast schon wieder, aber diesmal kein Rechtsabbieger, sondern ein wildgewordner Mann. Ja, beide Male ein Mann. Zufall? Ich denke nicht.
Also der heute Abend, der ist einfach zu schnell in die Einbahnstraße rein, ungebremst weiter und einmal kurz Hand gehoben, als er an mir vorbeikam, die ich mich zum Glück in eine Parklücke duckte. Aber gar nicht schuldbewusst, die Hand, eher so: kluges Mädchen. Frau. Was weiß ich, was der dachte.
Na ja, ich wollte eigentlich über das Schachspielen schreiben, weil ich glaube ich gar nicht schreiben kann, ohne dass irgendwie Schach darin vorkommt. Und das ist doch seltsam, dass das immer noch so sein sollte, ich hab schließlich schon lange – lange, lange, lange – nichts mehr mit Schach am Hut. Gar nichts. Ich denk da nicht mal dran, außer so ganz verstohlen, nachts um vier. Wenn man so an früher denkt und bisschen traurig wird, dass die Zeit vergangen ist oder so.
Ich hab schon viele Hobbies links liegen lassen. Boxen. Meine Güte, da dachte doch jeder schon: echt jetzt?
Klavier. Das klang schon besser (Witz intendiert).
Tennis. Mach ich noch, aber heute zum Beispiel nicht, weil kein Bock.
Stricken. Na gut, zählt nicht, habe ich nie wirklich gelernt, hab bloß zwölf Nadeln bei Bezos bestellt.
Sport. Der bleibt, aber die Fixiertheit schwankt. Und ja, ich bin ja über Dreißig, also natürlich hab ich's seit Kurzem mit dem Joggen.
Ich glaube, ich vergesse auch einige, aber vielleicht auch nicht, vielleicht würde ich das nur gerne, denn was mir widerfahren ist, ist etwas Grausames, das so gut wie allen Menschen widerfährt und sie niederwirft und ihnen alles nimmt. Es ist die Arbeit. Das liebe Arbeitsleben, und das Wort "Leben" ist darin schon sehr gut aufgehoben. Ich liebe arbeiten einfach. Ich mach es ständig, jeden Tag, auch am Wochenende, und nein, nichts Nützliches - sorry. Die Arbeit dient nur dazu, dass ich mich sonst nicht um mein Leben scheren muss.
Apropos Arbeit, das war heute auch toll, toller Tag, sagte ich das schon?
Um kurz vor 14 Uhr musste ich meine Bürotür verschließen und heulen. Wie ein ganz schwaches Würstchen, dabei wäre ich lieber kein Würstchen. Aber besonders großwurstig und stark bin ich halt leider nicht, das muss ich in solchen Moment einsehen. Ich kann das nicht, wenn man nicht nett zu mir ist.
Und ja, auch wenn's nur über E-Mail ist. Aber es war wirklich unschön, ein unschöner Mailverkehr, mit einem passiv-aggressiven Gegenüber, das mir einfach nicht die LISTE schicken wollte, sondern mich immer wieder darauf hinweis, ich habe die Liste wie alle anderen bereits vor einem Monat erhalten. Aber das hatte ich nicht. Doch, das haben Sie, schrieb er, und ich, die sicher einen riesen Fehler begangen hatte, durchsuchte mein Postfach von vorne nach hinten und hinten nach vorne und starrte minutenlang auf die barschen E-Mails meines Gegnüber – nicht wirklich gegenüber, man stelle sich vor! zum Glück ja doch nur gegen Screen – und klickte hier und klickt da, wie so ein Siebzigjähriger, der von Outlook überfordert ist, um den Dateianhang zu finden, denn dieser Kerl, dieser Mistkerl (ich war auf Hundertachtzig und gleichzeitig klein und erbärmlich wie eine Null) hatte mir doch sicher die LISTE angehängt, nicht wahr, wie das jeder normale Mensch tun würde?
Aber dann sah ich es. Die Mail, die er mir geschickt hatte – denn die hatte er mir zuletzt, natürlich ohne Dateianhang, zum Beweis weitergeleitet – war an die falsche Adresse gegangen, das heißt, an eine alte Adresse, die nicht mehr funktioniert. Zugegeben, das konnte das Gegenüber vermutlich nicht wissen (wiewohl ich mich wunderte, dass andere E-Mails an meine richtige Adresse gingen), aber die Dreistigkeit, die Unbarmherzigkeit - das war, alles in allem, dann doch zu viel für mich.
So verlor ich also eine ganze Stunde. Grund: Gefühle.
Nun aber das ist nicht tragisch, meine ganze Arbeit ist ineffizient und man muss nicht denken, ich würde die Welt bewegen und eine Stunde sei gleichbedeutend mit einem Inhalt. Eine Stunde so mit Gefühlen und sinnlosen E-Mails, oder eine Stunde Kaffee, oder eine Stunde einen Absatz geschrieben (wenn's gut läuft) über irgendein Thema, das niemanden interessiert... nein, ich will nicht so reden, ich will nicht so denken, ich will wertschätzen, womit ich da meine Zeit – und zwar die gesamte Zeit – verbringe.
Jedenfalls ist es deshalb, dass ich mit Schach nichts mehr am Hut habe und auch mit allem anderen und vielleicht ist das gelogen oder vielleicht auch nicht, aber wenn in einem Buch 1. e4 steht, dann wühlt mich das auf, ich mag das nicht, ich will nicht so mit etwas konfrontiert werden, an das ich schon lange – lange, lange, lange – nicht mehr denke. So was von früher.
Letztens war ein Reporter bei uns und hat einen Radiobeitrag aufgenommen. Ich war im Radio! Im Bildungsradio zudem. Das war mir hochgradig peinlich und ich würde mir diesen Beitrag nur gegen eine gewaltig hohe Summe anhören, aber trotzdem gut, nicht wahr, zu sagen: 'ich war im Radio'. Oder klingt es doch eher wie: 'ich war im Internet'?
Jedenfalls sagte der Reporter, der übrigens ganz schön kritisch war, damit hatten wir gar nicht gerechnet, sagte der, dass er mir noch eine Frage stellen wolle. Das war ganz am Ende, als er schon aufgestanden war. Ob ich Schachspielerin sei.
Er habe nämlich gegoogelt - soll heißen: meinen Namen – um den Weg zu finden, und da seien doch plötzlich Beiträge, Fotos, was Google eben so zu Tage befördert, sei alles da vor ihm ausgebreitet gewesen.
Was sollte ich da sagen? Verkrampft lachen und "früher, ist schon Jahre her" sagen.
Den ganzen Schachboom seit Corona, den Aufstieg des Schachs im Internet, das habe ich alles nicht mehr miterlebt, sagte ich entschuldigend. Damengambit. Die ganzen Streams. Nur so am Rande des Bewusstseins sind die an mir vorbeigeschwappt, kaum dass ich davon etwas mitbekam. Ich hatte anderes zu tun.
Er empfahl einen Podcast, den ein Kumpel von ihm produziert habe. Ich hörte abends im Fitnessstudio in eine Folge rein, während ich rückwärts auf dem Laufband lief – denn das macht man ab Anfang/Mitte Dreißig gegen Knieschmerzen. Also das Rückwärtslaufen, nicht den Schachpodcast.
Und ja, der war nett, der Schachpodcast. Scambit hieß der, falls es jemanden interessiert. Ich hab mir kurz vorgestellt, während ich da so lief und lauschte, ich könnte ja wieder anfangen. Jetzt doch noch (wieder?) ein Nerd werden. Warum denn nicht?
Bei einer Folge ist es geblieben. Schach und ich, wir sind Vergangenheit. Lange – lange, lange – her.
pancreases | 22. April 25 | 0 Kommentare
| Kommentieren